#04: Sind erneuerbare Energien ausreichend, um die ganze Welt mit Strom zu versorgen?
Nach einigen emotionalen Zwischenartikeln über Covid-19, Masken und Politik schreibe ich nun wieder über den Klimawandel und verwandte Themen. Versprochen. Und ich möchte dafür den Schwung nutzen, den ich durch die Lektüre des Buches "Earth: The Operators' Manual" des renommierten Klimaforschers Prof Richard Alley bekommen habe. Er ist ein Geologe, der hauptsächlich mit Eisbohrkernen arbeitet und ein immenses Interesse an der Geschichte und den historischen Möglichkeiten der Energiegewinnung hat. Zudem ist er ein bekennender US-Republikaner, was eigentlich normalerweise nicht der Rede wert wäre. Im heutigen US-Klima extremer Parteinahme scheint es jedoch oft so zu sein, dass scheinbar alle Demokraten an die vom Menschen verursachte globale Erwärmung glauben, während offenbar kein Republikaner jemals an diesen Schwindel glauben würde (währenddessen bleibt der Klimawandel selbst völlig unpolitisch und findet trotz jedes Partisanenstreits weiter bedingungslos statt). Verzeiht mir also, wenn ich darauf hinweise, dass Alley Republikaner ist - er selbst redet gerne explizit darüber, aus demselben Grunde, also folge ich einfach seinem Beispiel. Nicht zuletzt ist Richard Alley auch ein bemerkenswertes Ebenbild von Prof. Hubert Farnsworth von Futurama, und ich sage das mit dem größtmöglichen Respekt beiden gegenüber. Man muss ihn allerdings hören, um die Ähnlichkeit zu erkennen, deshalb präsentiere ich hier seine Rede vor dem US Kongress, die auch inhaltlich sehenswert ist.
Wie viel Energie ist eigentlich viel Energie?
Aber zurück zu Prof. Alleys Lieblingsthema: Energiegewinnung! Mir wird häufig die Frage gestellt: "Wie kann man einfach glauben, dass wir die Energie aus fossilen Brennstoffen vollständig hinter uns lassen können? Unser Energieverbrauch ist riesig und steigt immer mehr. Bis zur Mitte des Jahrhunderts werden wir etwa 9 bis 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten sein, also wird der Energieverbrauch noch viel höher sein. Mit ein paar Sonnenstrahlen und Windkraft können wir all diese Menschen nicht mit Energie versorgen. Außerdem, was ist, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht?" Ok... all diese Annahmen sind völlig richtig: Wir Menschen verbrauchen sehr viel Energie. Und in Zukunft werden wir vermutlich noch mehr Energie verbrauchen. Außerdem können wir keine Energie aus Sonne oder Wind gewinnen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Aber diese Bemerkungen sind zwar alle richtig, aber sie sind nicht sehr präzise. Und dadurch sind eventuell auch die gezogenen Schlussfolgerungen nicht richtig. Als Wissenschaftler möchte ich gerne genaue Zahlen wissen... "Viel" und "mehr als" oder "nicht genug" ist alles sehr unpräzise. Glücklicherweise konnte mir Prof Alleys Buch da gut weiterhelfen.
Aber wir beginnen mit einem Zitat von Alley, das am Anfang aller Überlegungen zum Einsatz nachhaltiger Energiequellen stehen sollte, insbesondere wenn es um den Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien geht:
"Seien Sie jedoch gewarnt - es gibt keine Patentlösung, außer der Inspiration und dem Schweiß vieler Menschen. Alle Wege, die wir beschreiten könnten, haben sowohl Kosten als auch Nutzen. [...] Niemand kennt wirklich den besten Weg zu einer nachhaltigen Energiezukunft, zum Teil deshalb, weil wir so viele unserer Anstrengungen darauf verwendet haben, über Dinge zu streiten, die nicht so wichtig sind, anstatt über Dinge, die wichtig sind."
Wartet... was ist eigentlich mit den Arbeitsplätzen?
Reden wir also über Dinge, die wichtig sind. Wenn wir über die möglichen Kosten der Energiewende sprechen, so ist eines der Hauptargumente gegen erneuerbare Energien der Verlust von Arbeitsplätzen in der Branche der fossilen Brennstoffe. Unternehmen, die diese Brennstoffe umsetzen, sind Arbeitgeber von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, so dass dies natürlich Besorgnis hervorrufen muss. Diese Besorgnis ist zwar verständlich, aber viele Studien haben gezeigt, dass der Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen mehr Arbeitsplätze schaffen wird, als er kostet. Zum Beispiel wird eine Investition von 1 Million Dollar in Wind- oder Sonnenenergie innerhalb von zehn Jahren voraussichtlich 40% mehr Arbeitsplätze schaffen als eine entsprechende Investition in der Kohleindustrie (Quelle: IPCC-Bericht 2007). Investitionen in erneuerbare Energien und die Entwicklung erneuerbarer Energien schaffen tendenziell mehr Arbeitsplätze als fossile Energieträger, da ein größerer Anteil der Ausgaben für erneuerbare Energien in Fertigungsanlagen, Installation und Wartung fließt, die in der Regel arbeitsintensiver sind als die Gewinnung und der Transport fossiler Brennstoffe (siehe diese Studie von UCSUSA). Die gleichen Schlussfolgerungen ergeben sich aus Studien von Wei et al., Branker et al., Sastresa et al. und vielen anderen. Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass erneuerbare Energien Arbeitsplätze vernichten, ohne gleichzeitig noch mehr neue zu schaffen.
Crunching the numbers
Aber kommen wir auf das zurück, was ich ursprünglich versprochen hatte: auf ein paar richtige Zahlen schauen, anstatt sich in Begriffen wie "es ist so, so viel Energie" zu verlieren! Wie viel Energie verbrauchen wir tatsächlich auf diesem Planeten als Ganzes? Im Jahr 2012 (zur Zeit, als Alleys Buch geschrieben wurde) verbrauchten die Menschen etwa 16 Terawatt (TW) (Quelle: US Energy Information Agency, EIA). Mittlerweile dürfte dies ein klein bisschen mehr sein, und in den kommenden Jahren wird diese Zahl aufgrund einer wachsenden Weltbevölkerung sowie der fortschreitenden Digitalisierung in vielen Lebensbereichen auch noch etwas steigen, was einen höheren durchschnittlichen Energieverbrauch pro Person zur Folge haben wird. Aber ob wir bald 18, 20 oder sogar undenkbare 25 TW verbrauchen werden, wird schnell unwichtig, wenn wir uns jetzt das Potenzial ansehen, das uns erneuerbare Ressourcen bieten können.
Blowing in the wind
Aus Wind erzeugte Energie kann uns 1.220 TW liefern. Wenn Ihr dies mit der Zahl unseres Verbrauchs - 16 TW - vergleicht, werdet Ihr angenehm überrascht sein. Im Hinblick auf diese Zahl brauche ich nicht einmal zu betonen, dass dies natürlich ein Best-Case-Szenario ist (nachLu et al.) und dass wir bei Windenergie mehrere Dinge berücksichtigen müssen. Windturbinen sind laut und sie sind groß, ihr Lärm kann sowohl für Menschen als auch für das Wildleben unangenehm sein. Daher muss die Anzahl ein wenig korrigiert werden, da wir in der Platzierung der Turbinen gewisse Grenzen einhalten müssen. Aber das ist absolut möglich. Um Prof. Alley zu zitieren:
"Stellen Sie sich vor, die 2,5-MW-Turbinen in einem Windpark an Land gerade so weit voneinander entfernt aufzustellen, dass sie sich gegenseitig den Wind nicht sehr stark blockieren. Tun Sie dies auf den Ebenen und in den Wüsten der Welt, vermeiden Sie Städte, Wälder, Gletscher und Seen und nutzen Sie nur Orte, die windig genug sind, so dass die Turbinen im Durchschnitt mindestens 20% ihrer Kapazität ausmachen. Ein solches Netz würde mehr als das Fünffache des derzeitigen Energieverbrauchs erzeugen [...]. Größere Turbinen und die Einbeziehung von Offshore-Standorten würden sogar noch mehr erzeugen".
Wir werden nicht vergessen, dass der theoretische Aufwand, die Welt mit Windkraft zu verkabeln, nicht einfach sein würde. Dies ist kein Kinderspiel, aber technische Schwierigkeiten lassen sich mit genügend Forschung und Investitionen in die Ressource Wind überwinden. Tatsache ist, dass Windkraft genug Potenzial hat, um ein Mehrfaches an Energie für die Welt zu erzeugen.
Here comes the sun
Aber alle Winde erröten in Scham, wenn man sie mit dem Potenzial der von der Sonne erzeugten Energie vergleicht. Potenziell können wir 173.000 TW Energie durch die Sonne erzeugen (erinnert Ihr Euch an unseren Bedarf von etwa 16 TW weltweit?). Wie viele Solarmodule würden wir benötigen, um genug Energie für unseren Bedarf zu ernten? Würde man nur 10% der Sonneneinstrahlung einfangen, die an sonnigen Orten wie der Sahara oder Yuma, Arizona, auf die Oberfläche trifft, würde man mindestens 20 W/m² erhalten (siehe MacKay et al.). Bei diesem Wert könnte der Weltenergiebedarf aus einer Fläche von 900 km² auf einer Seite gedeckt werden. Allein die Wüste im Südwesten der USA verfügt über genügend Land, das für die solare Stromerzeugung für mehr als 80% des Weltenergiebedarfs geeignet ist (siehe Fthenakis et al.). Und vergesst nicht andere Orte wie die Sahara oder den australischen Outback (neben all den bereits existierenden Solarmodulen, die wir bereits haben).
Wind und Sonne sind die größten Ressourcen an nachhaltiger Energie, die wir kennen. Aber es gibt noch mehr, die für unsere Nutzung genutzt werden können: Energie, die aus Pflanzen (166 TW), Wellen und Strömungen (65 TW), geothermischen (44 TW) und hydroelektrischen (1,9 TW) Quellen und Gezeiten (4 TW) erzeugt wird, bietet mehr als genug Potenzial, um eine gute Mischung nachhaltiger Ressourcen zu schaffen, die den ganzen Planeten mit genügend Energie versorgt. Ohne fossile Brennstoffe. Manche dieser Quellen können immens schnell aktiviert werden, um zum Beispiel bei ausbleibendem Sonnenschein oder Wind sofort in die Bresche zu springen. Angesichts dieser Zahlen brauche ich mich glücklicherweise nicht mal mit dem Thema Kernenergie zu befassen. Dieses sehr polarisierte Thema hat sehr intelligente Verfechter auf beiden Seiten, und sie alle haben gute Argumente. Ich bin nicht sicher genug im Thema, um wirklich eine gute Einschätzung über die Notwendigkeit der durch Kernkraftwerke erzeugten Energie abgeben zu können. Ja, sie produzieren keine Treibhausgas-Emissionen, das ist sehr gut. Und ja, die Frage der Sicherung und Beseitigung radioaktiver Überreste ist eine sehr schwierige Frage, das ist sehr schlecht. Ich werde es einfach dabei belassen und nur über Dinge sprechen, bei denen ich mir sicherer bin. Außerdem freue ich mich sehr auf die Aussichten der Kernfusion, die bei der Verwirklichung von ITER, dem weltweit größten Kernfusionsprojekt, endlich der Realisierung näher kommt. Obwohl Fusion natürlich auch nicht als eine universelle "Du kommst aus dem (Klimawandel-)Gefängnis frei"-Karte gesehen werden sollte, dafür wird die Entwicklung wohl einfach zu lange dauern.
Die Mischung macht's
Zurück zum ursprünglichen Zitat von Alley: Es gibt keine Einzellösung für den Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energieressourcen. Und das liegt nicht an der Beschränkung der verfügbaren Ressourcen, nein, davon gibt es reichlich, wie wir gesehen haben. Aber es liegt an den technischen Beschränkungen, die immer noch beim Bewegen und Speichern der erzeugten Energie bestehen. Die Sonne scheint nachts nicht, der Wind weht nicht die ganze Zeit... aber wenn man alle oben genannten Ressourcen zusammennimmt und als komplementäre Ressourcen, die sich einschalten können, wenn eine andere abschaltet, ist die Versorgung der Welt mit nachhaltiger Energie sehr gut möglich. Auch die Erzeugung, der Transport, die Speicherung und die Erhaltung nachhaltiger Energien wird von großem wirtschaftlichen Wert sein. Nicht zu vergessen die neu geschaffenen Arbeitsplätze. Im Grunde liegt es an uns, die reichlich vorhandenen Ressourcen zu ernten.. Oder mit den Worten von Soren Hermansen, Direktor der Samso Energy Academy: "Technologie ist einfach. Wir finden dieses Lösungen schon... es müssen nur die Entscheidungen dazu getroffen werden. "
Wenn Ihr Euch für das Thema interessiert, könnt Ihr entweder Prof. Alley's "Earth: The Operators' Manual" lesen oder Ihr könnt Euch die gleichnamige dokumentarische Miniserie ansehen, die in 3 Teilen auf der Website von EtOM leicht und öffentlich erhältlich ist.
Bildreferenzen, in dieser Reihenfolge: Pixabay, Gustavo Fring (wirklich?), Laura Penwell, wieder Pixabay