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#02: Was sagen eigentlich die Wissenschaftler dazu?

May 16, 2020

Wenn Du Dich über den Klimawandel informieren willst, solltest Du nicht Deinen Metzger, Klassenkameraden oder Steuerberater fragen. Frage die Klimawissenschaftler - aber... ist das so einfach, wie es sich anhört?
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Wenn Du Dir eine Meinung zu Fragen des Klimawandels bilden willst, ist es ratsam, sich an Klimawissenschaftler zu wenden. Das klingt erstmal ziemlich unkompliziert, aber wenn es einfach wäre, würde ich diesen Blog nicht schreiben. Denn niemand widerspricht der Meinung, dass es eine gute Idee ist, Klimaexperten um Rat zum Klimawandel zu bitten. Aber dafür gibt es große Meinungsverschiedenheiten darüber, (i) wer diese Experten tatsächlich sind (und wer ganz bestimmt nicht), (ii) ob sie selbst verborgene Agendas haben, (iii) ob es einen Konsens darüber gibt, was sie sagen, und vieles mehr. Du siehst, es ist gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten, darum gehen wir Schritt für Schritt:

Zunächst einmal: Definiere die Frage, die Du stellen willst

Halten wir es erstmal ganz einfach, indem wir uns "lediglich" auf die Hauptfrage der Klimawissenschaft konzentrieren: "Ist der Mensch für die gegenwärtigen Veränderungen unseres Klimas verantwortlich?" Noch vor einigen Jahren war die Frage "Ist der Klimawandel überhaupt real?" vielleicht noch ein Anwärter darauf, die Hauptfrage zu sein. Doch während z.B. Donald Trump 2012 noch behauptete, die globale Erwärmung sei eine Verschwörung der chinesischen Regierung, erkennt selbst er jetzt die Realität des Klimawandels an. Die Frage nach der Ursache des Klimawandels ist jedoch eine andere. Donald Trump glaubt nun - wie viele andere auch -, dass der Klimawandel ganz natürlich sei und der Mensch nicht dafür verantwortlich ist. Die Anzahl der Menschen, die rundheraus den Klimawandel leugnen, geht stark zurück und ist vielleicht schon vergleichbar mit der Anzahl der Flat-Earthers. Frühere Klimawandel-Leugner haben nun ihre Haltung dahingehend geändert, dass sie den Mensch als Ursache leugnen. So können wir uns mit der Frage "Sind Menschen für die Veränderung unseres Klimas verantwortlich?" als Hauptfrage der Klimawissenschaft zufrieden geben.

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Wie können wir die Meinung der Klimawissenschaftler einholen?

Ausgerüstet mit dieser Frage wollen wir nun die Klimawissenschaftler fragen, was ihre Meinung zu diesem Thema ist. Leider gibt es aber kein Wissenschaftsgebiet "Die Ursachen des Klimawandels". Stattdessen können wir uns aber an alle Klimawissenschaftler wenden - ganz gleich, ob sie nach Eiskernen bohren, Satellitendaten analysieren oder Klimamodelle erstellen. Als erstes müssen wir diese Menschen identifizieren. Und das ist ziemlich einfach, denn Klimawissenschaftler zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in wissenschaftlichen Journalen publizieren, und die sind meist öffentlich oder zumindest über Universitätsserver erreichbar. Jetzt, da wir eine Liste von publizierenden Klima-Wissenschaftlern erhalten haben, können wir ihre Veröffentlichungen lesen, um zu sehen, ob sie Aussagen über die Ursachen des Klimawandels enthalten. Leider wird nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Wissenschaftlern so etwas in ihren Publikationen schreiben, weil es einfach nicht zum Thema passt. Sie schreiben stattdessen über ihre Satellitendaten, über schmelzende Gletscher, über Computerprognosen oder über Eiskerne. Darüber hinaus noch eine Erklärung über die Ursache des Klimawandels aufzunehmen, wäre so, als ob man eine Erklärung hinzufügen würde, dass die Erde nicht flach ist oder dass sie sich um die Sonne dreht. Wissenschaftliche Veröffentlichungen müssen auf den Punkt und präzise sein, sie haben oft Beschränkungen der Wortzahl und es gibt dabei nicht viel Raum für die Feststellung des Offensichtlichen. Und Spoiler-Alarm: Für Klimawissenschaftlicher ist es Allgemeinwissen, dass der Mensch den Klimawandel verursacht - dementsprechend sehen sie keinen Sinn darin, dies in all ihren Publikationen immer wieder zu betonen. Aber zurück zum Thema: Wenn sie in ihren Publikationen nicht explizit eine Aussage zur Ursache des Klimawandels machen, müssen wir sie also direkt fragen, z.B. über ihre E-Mail-Adressen, die ebenso öffentlich zugänglich sind wie die meisten ihrer Publikationen. Möglicherweise werden nicht alle auf eine solche E-Mail antworten, denn niemand hat die Zeit, alle Email-Umfragen und Kettenbriefe der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu beantworten. Aber mit den Aussagen in den Publikationen plus den E-Mail-Antworten wird bereits ein Muster erkennbar sein. Der oben erwähnte Prozess wurde 2013 durchgeführt, um zu bewerten, ob Klimawissenschaftler glauben, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Die Studie von Cook et al. ist für jeden offen zugänglich. Und sie ergab, dass 97% der Klimawissenschaftler glauben, dass der Mensch die Ursache für den Klimawandel ist.

Cook et al. waren bei weitem nicht die einzigen, die versuchten, diese zentrale Frage der Klimawissenschaft zu beantworten, indem sie die Meinungen der (klima-)wissenschaftlichen Gemeinschaft untersuchten. Es gab Oreskes et al. im Jahr 2004, Anderegg et al. im Jahr 2010, Doran et al.im Jahr 2011, Verheggen et al. im Jahr 2014, Stenhouse et al. im Jahr 2014 und Carlton et al. im Jahr 2015. Sie alle versuchten herauszufinden, was Klimawissenschaftler über den Klimawandel denken, und sie verwendeten unterschiedliche Strategien, um eine Antwort zu finden. Sie alle fanden heraus, dass zwischen 90% und 100% dem vom Menschen verursachten Klimawandel zustimmen. Darüber hinaus stellten sie fest, dass der Konsens umso höher war, je höher die Expertise der Befragten war. Tatsächlich werden diese Studien sogar in einer eigenen Metastudie zusammengefasst, einer Studie über den Konsens der Konsensstudien, die von Cook et al. 2016 veröffentlicht wurde. Die Menge der offen zugänglichen Publikationen zu diesem Thema in Kombination mit den gefundenen Ergebnissen lässt uns erkennen, dass es einen ziemlich starken Konsens über den vom Menschen verursachten Klimawandel zu geben scheint. Ein neuerer Artikel aus dem Guardian (Juli 2019) wirft ein wenig Licht auf die aktuelle Situation, die für alle eine leichtere Lektüre ist, die sich nicht durch die wissenschaftlichen Studien durchkämpfen wollen und eine aktuellere, aber dennoch verlässliche, Bewertung des Themas wünschen.

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Expertenkonsensergebnisse zur Frage der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung (2016). Illustration: John Cook.

Was bedeuten diese Zahlen überhaupt? Sind 97% eigentlich viel?

Leugner der Klimawissenschaften weisen gerne darauf hin, dass wir nicht gegen den Klimawandel vorgehen sollten, wenn wir uns der Ursache des Klimawandels nicht zu 100% sicher sind. Das bedeutet nicht nur, dass wir völlig unrealistische Forderungen stellen (ein liebgewonnener Kniff der Leugner), sondern auch, dass wir das Ausmaß des Konsenses, von dem wir sprechen, völlig ignorieren müssen. Um das Ausmaß zu begreifen, stelle Dir vor, Dein Kind ist schwer krank. Du gehst zu 100 Ärzten, um die Ursache zu diagnostizieren. 97 von ihnen sagen Dir, dass sie sich über die Krankheit und ihre Ursache sicher sind, und sie schlagen mögliche Behandlungen vor. Nur drei von den 100 Ärzten sagen, dass wahrscheinlich sowieso alles gut gehen wird oder dass Du eh nichts dagegen tun kannst oder dass das Kind gar nicht krank ist. Würdest Du eher auf die drei oder auf die 97 Ärzte hören? Die Antwort scheint offensichtlich.

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Jetzt, wo wir einen Eindruck davon haben, was die eigentlichen Experten der Klimawissenschaft denken, könnten wir froh sein und nach Hause gehen. Jetzt, da die Experten gesprochen haben, könnten wir damit beginnen, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, indem wir politische Maßnahmen einführen, die klimaschädliche Verhaltensweisen (wie die Verbrennung fossiler Brennstoffe) regulieren. Aber es sind Menschen und Institutionen am Werk, um dies zu verhindern. Sie leugnen den vom Menschen verursachten Klimawandel, sie diskreditieren Klimawissenschaftler, und sie zweifeln an den zahlreichen Konsensstudien. Durch ihr systematisches Vorgehen säen sie Verwirrung in der Öffentlichkeit. Sie verbreiten bereitwillig Fehlinformationen und versuchen, die Arbeiten der Klimawissenschaftler zu dekonstruieren und die Ergebnisse zu verzerren oder zu leugnen. Aber wer sind diese Leute, was ist ihre Agenda und wie arbeiten sie? Diese und weitere Fragen werden in meinem Blogbeitrag #03 behandelt.

#00: Noch ein Blog übers Klima: Warum nur?

Falls Ihr Euch fragt, wo eigentlich die Kommentarfunktion ist, oder wer ich eigentlich bin, dass ich hier über Klimawissenschaften und Kommunikation schreibe... schaut gern mal in meinen Disclaimer hier.